Schwarze Magie, flüssig gereicht
Sind Sie auch so ein Mensch? Sie springen morgens taufrisch und glockenhellwach aus dem Bett. Zu diesen Menschen gehöre ich nicht. Im Gegenteil! In der Frühe bin ich oft noch so zerknittert, dass selbst die Face-ID meines Handys mich nicht erkennt. Es dauert ein, zwei Stunden bis ich mich entfalte. Mein Gehirn ist in der morgendlichen Warteschleife, noch etwas mürrisch und lustlos. In diesem eigenartigen Dämmerzustand zwischen Halbschlaf und Halbwach, schaltet es auf Autopilot. Geist und Körper spulen die Routine ab: Zähneputzen, rasieren, duschen …
Wirklich munter werde ich erst durch ein magisches Getränk: Kaffee! Kaffee hat deutlich mehr Koffein als eine Cola oder ein Energydrink; das regt das Gehirn an. Früher galt er als ungesund. Doch inzwischen weisen etliche Studien die wohltuende und gesundheitsfördernde Wirkung des Kaffees nach. Er entzieht dem Körper auch nicht etwa Flüssigkeit, wie ein hartnäckiges Vorurteil behauptet. Um es mit Franz Kafka zu sagen: „Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub.“
Und noch ein Vorurteil gilt es zu knacken: Kaffee macht nicht süchtig. Bei Drogen werden die Glückshormone Dopamin und Adrenalin verstärkt ausgeschüttet. Das Gehirn empfindet diese Substanzen als Belohnung, folglich will es immer mehr davon. Bei Koffein dagegen werden diese Glücksstoffe nur in ganz geringem Maße abgegeben. So kann es nicht zu einer körperlichen Abhängigkeit kommen. Das beruhigt mich ungemein.
Im Gegensatz zu seinem zurückhaltenden Kompagnon Tee, der still und leise vor sich hin zieht, macht Kaffee vehement auf sich aufmerksam. Im Automaten dampft, brodelt, zischt und blubbert er wie eine Mischung aus schnurrendem Kater und freundlichem Drachen. Schon die feinen, aromatischen Duftschwaden beflügeln und motivieren mein Gehirn. Guter Kaffee weckt meine Lebensgeister. Gut muß er sein. Denn die Spanne zwischen herrlichem Genuss und bitterer Enttäuschung ist immens. Einerseits der hinreißend schaumige Dalgona Coffee und andererseits der Abschaum, die Plörre oder Brühe aus der Kantine oder dem Automaten. Das Zeug schmeckt nicht die Bohne! Genauso wie der wässerige `Coffee-to-go´. Der schmeckt genauso, wie er heißt: Zum Davonlaufen! Hin und wieder eine Tasse Kaffee, das ist ein besonderer Genuss. Wie gesagt, hin und wieder! Neulich aber hörte mein Oberstübchen auf zu denken und täuschte Kopfschmerzen vor. Dann folgte eine dieser ermüdenden Diskussionen:
„Ohne Kaffee streike ich“, nörgelt mein Gehirn.
„Mensch Hirn“, erwidere ich, „das ist Erpressung. Du hattest doch erst vor einer halben Stunde einen Kaffee.“
„Apropos Espresso“, säuselt es, „vorhin hatten wir schwarzen Kaffee. Aber noch keinen Latte Macchiato, Café au lait, Café Mélange …“
„Ich dachte, Kaffee macht nicht süchtig. Du bist offenbar eine Ausnahme.“
„So ein Quatsch! Ich kann nicht immer nur denken bis die Synapsen glühen. Manchmal gähnen sie eben auch. Da verdiene ich zumindest vollendeten Kaffee-Genuss!“
„Hmmm.“
„Nun komm schon, du willst ihn doch auch. Tu was, du bist schließlich Schwarzkünstler. Das schwarze Getränk ist wie geschaffen für dich. Genau richtig für so einen großen Magier.“
Ja, tatsächlich fühle ich mich vor einer Show als hätte ich einen Kaffee getrunken: das Herz schlägt kräftiger, die Atmung geht schneller, die Körpertemperatur ist erhöht. Und nach einem gelungenen Auftritt fühle ich mich großartig.
„Also gut, ich mache uns noch einen Kaffee.“
Während ich den Espresso zubereite, sagt mein Gehirn noch:
„Menschen, die viel Kaffee trinken, finden schneller einen Partner. Das Leben zu zweit beginnt ganz oft mit der harmlosen Einladung zu einem gemeinsamen Kaffee.“
„Ja, mit so einem Einstieg triffst du in der Regel ins Schwarze. Kaffee ist nun einmal das beliebteste Getränk der Deutschen. Sogar beliebter als Wasser oder Bier.“
Und dann genießen wir schweigend und zufrieden unseren Espresso. Und ich stelle mir nach jedem Date die Frage: Habe ich mich nun verliebt? Oder bin ich so beflügelt, weil der Kaffee so gut war?
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