Früher war alles … so rosarot!

Meine Großhirnrinde formte neulich einen Satz. Das passiert öfter und wäre normalerweise nicht der Rede wert. Grammatikalisch gab´s auch nichts einzuwenden, aber inhaltlich war es völlig daneben. „Du Hirn, das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich mag diesen Satz nicht, ich mochte ihn noch nie!

Während ich noch dagegen andenke, macht mein Gehirn schon was es will. Es hatte bereits den Befehl an die Lunge erteilt: „Luft ausstoßen“ … meine Stimmbänder beginnen zu schwingen, der Mund öffnet sich und raus ist sie, die Phrase: „Früher war alles besser“.

Wenigstens gelingt es mir noch im letzten Moment, der Floskel eine ironische Tonlage zu geben, mit einem langen, wehmütigem „Ja, ja!“ am Ende. Meine Güte, nun klinge ich schon wie mein eigener Großvater. Zum Glück geht mein Satz im allgemeinen Small-Talk und einem allseits gestiegenen Alkoholpegel unter.

Denn mal Hand aufs Herz: Niemand kann diesen Satz ernsthaft meinen. Okay, früher war mehr weiße Weihnacht und die Bücher waren aus Papier. Aber ALLES? Und BESSER? Selbst die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts – auf der Hitliste der Deutschen bekanntlich hoch im Kurs – bescherten uns Grausamkeiten wie Modern Talking und Frisuren aus drei Dosen Haarspray.

Und was sagt die Wissenschaft? In den späten 90er-Jahren untersuchte der Psychologe Terence Mitchell an der Universität von Washington Seattle, wie sich die Sicht von Studenten auf ein aufregendes Erlebnis veränderte. Konkret ging es um eine dreiwöchige Fahrradtour durch Kanada. Die Vorfreude darauf war groß. Während der dreiwöchigen, teils verregneten Tour waren die Gefühle aber eher gemischt. Wurden die Studenten allerdings später nach ihren Erinnerungen befragt, wurde die Fahrt – erstaunlich – viel positiver beschrieben als sie eigentlich gewesen war. Die Psychologen sprechen von „Rosiger Retrospektion“, also einem Blick zurück durch die rosarote Brille.

Unser Gehirn beschönigt im Rückblick die Ereignisse, ähnlich wie die Posts auf Instagram: Da werden nur die quietschbunten Bilder hergenommen; das Bällebad, schicke Kleider, der Sommerurlaub oder ein zufrieden lächelndes Foto deiner Selbst. Genauso arbeitet unser Gehirn mit unserer Vergangenheit: Unangenehme Bilder und Gefühle blendet es einfach aus. Kein Wunder, dass uns der Satz „Früher war alles besser“ so häufig in den Sinn kommt.


Mit dieser rosa Färbung schützt das Gehirn unser Selbstwertgefühl, sagen die Psychologen. Zeilen der Pop-Rock-Band Silbermond liefern womöglich eine weitere Erklärung: „Gib mir´n kleines bisschen Sicherheit“, heißt es in einem Song, „in einer Welt, in der nichts sicher scheint … Gib mir was, irgendwas, das bleibt.“ Es ist für uns wichtig, dass schöne Erinnerungen bleiben. „Die Erinnerung“, schreibt der Dichter Jean Paul, „ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Deine Erinnerungen gehören dir ganz allein. Deshalb greifen wir – ohne es zu merken – in unser inneres Archiv ein; damit haben wir Macht über unsere Vergangenheit, zumindest in unserem Kopf. Wir können alles, was war, zurechtbiegen und gestalten wie es Pippi Langstrumpf mit ihrer Welt tut: Sie machen, wie sie uns gefällt. Schließlich sind die Erinnerungen integraler Bestandteil unserer Persönlichkeit. Sie wirken sich auf unser Selbstbild aus, beeinflussen unser Denken und unsere Entscheidungen.

Was meinte mein Gehirn eigentlich, als es mir dieses `Früher-war-alles-besser´ in den Mund legte? Also, ich wollte meinem jüngeren Ich nicht begegnen. Zunächst einmal würde ich es zum Frisör schicken und anders anziehen wollen. Mir ist das Navi heute viel lieber als damals der Stadtplan zum Falten. Ich recherchiere auch gerne mit Google & Co.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will Sie nicht um Ihre wertvollen Erinnerungen bringen, um Ihren Schatz im Kopf. Aber sehr gerne lenke ich Ihre Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt. Denken Sie daran: Sie leben gerade in der Zeit, von der Sie später sagen werden, sie sei die beste Zeit gewesen. Von wegen `Früher-war- alles-besser´: Deine beste Zeit ist jetzt.