Herren im weißen Kittel
Es ist der Traum eines Nervenarztes: Mit einer kleinen Operation am Gehirn lassen sich nervliche und psychische Krankheiten aller Art kurieren. Depression und Schizophrenie sind so schnell heilbar. Sogar kriminelle Energie lässt sich auf diese Weise eliminieren; sprich, böse Menschen werden wieder brav.
Die Prozedur selbst ist recht einfach: Man bohre seitlich zwei Löcher in den Kopf und trenne mit einer Art Stemmeisen die Verbindung zwischen Frontallappen und Zwischenhirn. Et voilá: Fertig ist der neue Mensch. In mehreren Ländern entstand ein regelrechter Boom um die sogenannte Lobotomie. Ihr Pionier, der portugiesische Politiker und Neurologe Egas Moniz hatte 1949 den Medizin-Nobelpreis für das Verfahren erhalten: So übel konnte es also nicht sein.
In den Sechziger Jahren entdeckte in den USA ein gewisser Dr. Walter Freeman die Methode und entwickelte sie weiter. Die Operation war allerdings bereits damals umstritten. Die American Medical Association warnte ausdrücklich davor: Einige Patienten sind bereits Pflegefälle, andere nach dem Eingriff emotional völlig unbeteiligt, manche sterben an Hirnblutungen. Nicht alle Mediziner schreckte das.
Ein Geschäftsmann und US-Diplomat will die Operation an seiner Tochter anwenden. Der Millionär hat politische Ambitionen und neun Kinder. Seine Kinder sollen allesamt Gewinner werden. Leider passt die älteste Tochter Rosemary nicht recht in das Bild der perfekten Familie. Den Vater stört ihre Lernschwäche, sie ist in allem langsamer als die Geschwister. Neuerdings hat sie unkontrollierte Wutausbrüche, in denen sie zu Gewalt neigt. Manchmal bleibt sie nachts weg. Womöglich würde sie ungewollt schwanger werden. Was würden die Leute sagen? Dem sauberen Image der Familie könnte das empfindlich schaden. Der etablierte Geschäftsmann entschließt sich zu einer radikalen Maßnahme: Ohne ihre Zustimmung und ohne Rücksprache mit seiner Frau gibt er seine Tochter unter einem Vorwand in die Hände von Dr. Freeman. Rosemary wird operiert. Sie ist zum Zeitpunkt des Eingriffs gerade mal 23 Jahre alt.
Die Folgen sind gravierend: Die einst lebensfrohe Frau ist künftig schwerstbehindert. Sie kann nicht mehr deutlich sprechen, ist teilweise gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Ihre weiteren Jahre verbringt sie in einem Heim. Über ihren Verbleib wahrt die Familie Stillschweigen. Auch ihr Bruder John redet lange nicht über seine Schwester. Die Lebenswege der Geschwister könnten unterschiedlicher nicht sein. Er macht als Politiker Karriere. Eine steile Karriere. John F. Kennedy wird der 35. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Verstümmelung der Tochter hat seine Mutter Rose Fitzgerald Kennedy ihrem skrupellosen Ehemann Joseph nie verziehen.
Fotografie von Richard Sears in der John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston. Ganz rechts im Bild ist Rosemary, der zweite von links ist John F. Kennedy.
Eine Fußnote und eine Ironie des Schicksals: Auch Egas Moniz, Pionier der Lobotomie und Medizin-Nobelpreisträger, ist später auf einen Rollstuhl angewiesen. 1935 hatte er trotz mangelnder Erfahrung als Chirurg die Operation erstmals an Menschen durchgeführt. Er operierte vorwiegend weibliche Patienten ohne deren Zustimmung zu dem Eingriff. Später wurde er von einem seiner Patienten angeschossen und war seither gelähmt.