Jürgen von der Lippe und die Freude an Unterhaltung

Von Harry Keaton

Dieser Mann ist ein Phänomen. Eine Institution. Eine echte Marke. Eben
Jürgen von der Lippe. Er ist einer der bekanntesten Mitglieder des Magischen Zirkels, nannte einst sogar einen Zauberladen sein eigen: Lippes Magic Store.
Dieses Jahr feierte er seinen 75. Geburtstag und zugleich sein 50. (!) Bühnenjubiläum. Er spielt nach wie vor ausverkauften Hallen und hat viele Projekte am Laufen. Seine Antennen: Wie eh und je weit ausgefahren. Inzwischen hat er schon mehr Alben produziert als die Beatles. Nebenbei hat er Fernsehgeschichte geschrieben und alle wichtigen Preise erhalten, vom Grimme Preis bis hin zur Goldenen Kamera. Sein YouTube-Kanal verzeichnet derzeit über 300.000 Abonnenten.

Eines seiner TV-Flagschiffe war die große Samstagabend-Show „Geld oder Liebe“. Gelegentlich waren auch Zauberer Kandidaten der Spielshow; Eckart von Hirschhausen etwa, Nicolai Friedrich oder Stefan Alexander Rautenberg. Auch ich war damals Kandidat und wurde zum Publikumsliebling gewählt. Seit jener Zeit stehe ich mit Jürgen in lockerer Verbindung, habe ihn immer als väterlichen Freund und Mentor empfunden. Trotz seiner Fernsehpräsenz stand und steht er bis heute am liebsten auf der Bühne. Mit gutem Grund: „Das Schönste an den Bühnenshows ist:“, so sagt er, „Keine Redaktion, keine Kirchenbeauftragten.
Neben diversen Ausflügen zum Film und ins Theater schreibt der umtriebige Altmeister seit etlichen Jahren Bücher, die regelmässig auf Bestsellerlisten landen. Und ja, ein leidenschaftlicher Zauberer ist er noch immer: Es ist höchste Zeit für ein magie-Interview.
Jürgen von der Lippe und die Zauberkunst, wie hat das angefangen?

JvL: Zauberkasten, Kind, klassisch.

Weißt Du noch, welchen Zauberer Du zuerst gesehen hast? Du hättest ja zum Beispiel noch Kalanag erleben können?

JvL: Hmm, wer war der Erste? David Copperfield habe ich natürlich gesehen während der angeblichen Liaison mit Claudia Schiffer. Auch sie war damals in Essen. Es wäre noch viel eindrucksvoller gewesen, wenn man nicht unmittelbar vorher alles bei RTL gesehen hätte, also die Fluggeschichte und alles. Es war schon super. Aber erst einmal fing er zu spät an und dann hat er die Leute zur Sau gemacht, die zu spät kamen.

Der Gag war aber gut: „Kann ich Ihnen etwas bringen? Eine Uhr zum Beispiel? “. Den verwende ich jetzt auch. Wenn man allerdings selber später anfängt, sollte man sich bedeckt halten.

Mein Vater arbeitete ja nachts als Barkeeper in Aachens bester Striptease-Bar und er war befreundet mit dem Besitzer oder Betreiber der Femina in Aachen. Das war ein Varieté. Da waren russische Quickchange-Artisten, Jongleure, auch Conferenciers und Zauberer. Die habe ich alle gesehen.

(Femina war ein Varieté und Nachtclub und existierte von 1952 bis 1980. Neben deutschsprachigen Stars wie Zarah Leander oder Heinz Erhardt traten auch internationale Künstler wie Josephin Baker auf; HK)

Wann war das?

JvL: Da war ich vielleicht 15 oder 16. Ich habe an allem Freude, was Unterhaltung verspricht. Mit der Kirmes fing es ja an, im Zirkus war ich oft und gerne und natürlich auch im Theater.

Was hat denn dein Vater gesagt, als du dann einen Nachtjob hattest? Er wollte ja nicht, dass es dir ähnlich geht wie ihm.

JvL: Deswegen durfte ich ja nicht Geige lernen. Naja, die haben natürlich schon damit gefremdelt. Klar, ich war auch der Erste in der Familie, der Abitur gemacht hat. Es gab nicht den einen Moment, wo ein Biograf schreiben würde `Und er beschloss Künstler zu werden´. Vielmehr war es so, dass ich in Aachen angefangen habe zu studieren. Dort hatte ich einen Job als Tutor, als Deutschlehrer für Ausländer, den ich unheimlich gerne gemacht habe. Das hätte ich mir auch beruflich vorstellen können.

Was man deinem Programm auch anmerkt.

JvL: Ja, ich bin dann nach Berlin gegangen, weil es da viele Clubs gab. Auch dort hatte ich wahnsinnig viel Glück und wurde von unserem Institut empfohlen, so dass ich den Tutorenjob weitermachen konnte. Das war fast eine halbe Stelle, da habe ich 1000 Mark verdient, das war natürlich klotzig für diese Zeit und habe dann weiter studiert mit meiner Kombination Germanistik, Linguistik und Philosophie. Dann habe ich gedacht, so jetzt habe ich die Scheine beisammen und wollte mich anmelden zur Prüfung. Die sagten aber `April, April´ – diese Kombination ist in Berlin nicht lehramtsfähig. Also hätte ich entweder ein anerkanntes Nebenfach nachstudieren müssen oder ich wäre zurück nach Nordrhein-Westfalen gegangen, wo es zu der Zeit keine Referendarstellen gab. Außerdem konnte ich schon damals von der Kleinkunst leben. Also habe ich mir gesagt, `Was soll das?´.
Ich hatte auch kein Interesse, Gymnasiallehrer zu werden. Wie gesagt, an der Uni, die Begegnung mit vielerlei Kulturen, das war toll. Wir haben ganz viel privat gemacht, Musik gehört, zusammen gekocht, getanzt, war toll.
Und dann habe ich mich exmatrikuliert, das hat meinen Eltern nicht so geschmeckt, aber als dann die Fernsehgeschichten dazu kamen, die Erfolg hatten, da sah die Welt schon bisschen anders aus.

Da waren sie sicher stolz.

JvL: Ja, aber ich denke, das ist ganz normal.

Eigentlich hast du gewisse Ähnlichkeiten mit deinem Vater, der sehr diszipliniert gewesen sein muss und offenbar nie krank gefeiert hat.

JvL: Der kam öfter morgens mit 40 Grad Fieber, hat sich ins Bett gelegt und ist abends wieder gegangen.

Wie diszipliniert ist ein Jürgen von der Lippe?

JvL: Spätestens beim Bund lernst Du´s. Ich war drei Jahre da und war natürlich auch Vorgesetzter und es liegt mir ohnehin. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht eine einzige Prüfung versiebt, egal ob mich das Fach interessierte oder nicht. Selbst die Fahrprüfung, die war die schwerste. Ich hatte keine Lust, aber die musstest du beim Bund machen, das gehörte dazu. Ich sollte eigentlich alle Führerscheine machen, von allen Autos haben sie mich dann runtergeschmissen. Als erstes habe ich eine Maico kaputtgefahren (ein Militärmotorrad der Fa. Maico aus Pfäffingen; HK) und dann hatte ich einen Feldwebel und einen Jeep für mich alleine, aber der ist meist selbst gefahren und hat die Schrottplätze abgeklappert.

Den Bund habe ich nur überlebt durch die Zauberei, ich zauberte für die Offiziere.

JvL: Ich war Casino-Offizier und war auch für Getränke zuständig.

Was ist ein Casino-Offizier?

JvL: Das ist ein Ehrenamt, da musste ich auf einmal die Steuer nachmachen, weil das nie gemacht worden ist. Ich hatte ja keine Ahnung davon. Ich habe dann so Sachen wie einen Tabasco-Wettbewerb mit Tomatensaft durchgeführt und Kleinigkeiten zu essen gekocht, weil meine Mutter Köchin war. Diese Ader habe ich auch. Ich habe ihr von Kind an geholfen, gerne, das ist wohl auch tief in den Genen tief drin. Wenn Du so willst, gehört Kochen ja auch zur Unterhaltung.

Hast Du auch die Kandidaten für „Geld oder Liebe?“ selbst ausgesucht?

JvL: Ja, mit meinem Redakteur zusammen auf der Basis der Vorschläge unserer Recherche-Teams. Die Kriterien waren: 6 verschiedene und dabei interessante Hobbies oder Berufe. Du kannst ja nicht zwei Zauberer nehmen oder drei Extremsportler, das muss ja eine gewisse Bandbreite haben. Von daher fielen Kandidaten, die ich toll gefunden hätte, hinten runter oder man hat sie das nächste Mal genommen. Da gab es halt sehr viel zu überlegen. Ich hatte sechs Spiele-Autoren. Das heißt, jeder von denen hat eine komplette Show geschrieben und das hatte ich zum Aussuchen. Das waren goldene Zeiten. Da spielte Geld keine Rolle, das ist heute leider anders. Dafür gibt es sehr viele Posten, Fernsehdirektoren, Bereichsleiter, die kein Mensch braucht, aber fürs Programm ist kein Geld mehr da.

Was für ein Geschenk, sich diese Sachen auszudenken.

Ich habe die meisten meiner Sendungen entwickelt – außer dem WWF-Club natürlich, meinem ersten TV-Job. Bei „So isses“ gab es ein englisches Vorbild: „That´s life“, davon blieb aber nachher nichts mehr über. „Donnerlippchen“ hatte ich im englischen Fernsehen gesehen … Die wollten mir eigentlich eine andere Show anbieten und ich sagte, Ne, gebt mir das, das finde ich toll´. Der amerikanische Producer, der die Sendung wohl erfunden hat, hat uns amerikanisches Tempo beigebracht. Das war unschätzbar.

Was hat die Zauberei für dich für einen Stellenwert? Du spielst ja auch Saxofon, hast aber nie ein Musikaliengeschäft betrieben?

JvL: Ja, das Saxofon habe ich auch immer geliebt. Ich habe Blockflöte gelernt und die Grifflogik ist eigentlich gleich, du musst nur den Ansatz üben.

Du hast recht spät angefangen, mit 60, kann das sein?

JvL. Ich weiß nicht, das war ein Zufall. Ich hatte eine Organistin mit auf der Bühne, die hat mir dann so ein bisschen Klavier gezeigt, also wirklich nur klimpern. Die spielte auch mit ihrer Partnerin Saxofon in einem Quartett. Dann sagte ich, Saxofon finde ich auch so geil, dann hat sie das mal mitgebracht und mir etwas gezeigt. Das hat auf Anhieb geklappt und dann habe ich mir eines gekauft und spiele zuhause zu meinem Vergnügen zu Playbacks. Und im Bühnenprogramm und im Fernsehen habe ich auch schon gemacht.

Ich würde mich nicht bei einer Musiksession als Musiker hinstellen, dazu reicht es natürlich nicht. Aber wenn Du Saxofon spielst, beschäftigst du den ganzen Körper, den Ton spürst du überall und es macht unheimlich Spaß.

Foto: Superbass
Foto: Superbass
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Aber warum ein Zaubergeschäft?

Weil ich das, als ich in Amerika war, praktisch in jeder Mall, in jedem Einkaufs-Center gesehen habe. Auch in Montreal, da habe ich für den WDR vom Comedy-Festival berichtet.
Einmal war ich mit meinem Redakteur in England. Wir waren im Harrods, dem bekannten Warenhaus in London. Da war ein Zauberhändler, ein alter Herr, bestimmt schon 70 und der machte die Klassiker Kurz-Mittel-Lang, Karten und so weiter. Der machte das so hinreißend und ich habe gedacht, `Mensch das gibt es bei uns nicht´ – zumindest kannte ich es nicht – es gab die klassischen Zauberläden, aber nicht so etwas, das fand ich geil und dann habe ich gesagt, `Komm, wir machen es´.
Wir hatten vier Angestellte und der Laden war richtig schön. Und dann hat mir der Magische Zirkel praktisch die Mitgliedschaft geschenkt „wegen meiner Verdienste um die Zauberkunst“.

Unbedingt.

JvL: Irgendwann sagte mein Steuerberater: Jetzt haben wir eine halbe Million Miese. Wenn du jetzt nicht damit aufhörst, erkennt das Finanzamt die Gewinnerwartung nicht mehr an.

Wie lange hast du den Laden besessen?

JvL: Von 1998 bis 2004 Ich war so oft es ging, da und war stolz, wenn mir einer etwas abkaufte. Wir waren in den WDR-Arkaden im Basement, was Scheiße ist. Selbst der Maus-Laden (Fan-Artikel rund um die „Sendung mit der Maus“; HK) konnte da nichts werden und ist umgezogen. Wir durften auch außen nicht werben, kein Schild machen. Normalerweise kannst Du von einem Zaubergeschäft nicht leben. Du musst in Deutschland – Partyartikel sowieso – aber auch Dekorationskunst vertreiben. Diese Kunden kamen nicht. Die Zauberer kamen, machten sich einen schönen Tag, brachten mir auch etwas bei, was wunderbar ist, aber von zwei kleinen Tricks am Tag trägt sich der Laden nicht.

Weißt Du noch, wer von den Zauberern kam?

J: Mein Geschäftsführer Gert Hoffmann war selber ein sehr, sehr guter Zauberer, der aber Bühnenangst hatte (Gert Hoffmann, Künstlername Tyrell. Er hatte vor `Lippes Magic Store´ einen eigenen Zauberladen in Köln. Danke, Manfred Geiß, für die Info; HK). Tobias Brutscher war einer meiner Verkäufer, mit dem habe ich heute noch Kontakt. Mein Zaubertalent ist relativ .begrenzt, was Geschicklichkeit und so weiter angeht, ich helfe mir dann über die Sprache. Die Selbstgänger sind mir die liebsten. Da brauche ich nur noch einen launigen Kommentar.

Als ich den Zauberladen besaß, hatte ich auch die Sendung „Wat is?“. Immer wenn wir aufgezeichnet haben, bin ich in den Laden und habe meinen Geschäftsführer gefragt `Was könnte ich bis heute abend können?

Muss man sich auch erst einmal trauen.

JvL: Naja, getraut habe ich mich ja immer etwas. Wenn es nicht geklappt hätte, hätten die Leute noch mehr Spaß gehabt.

Das Understatement, die Rolle als Comedian ist dafür natürlich super geeignet … Du kannst dich immer lustig machen.

JvL: Genau. Ich will um Gottes Willen nicht in Konkurrenz zu irgendeinem Magier treten, bin aber schon angeschrieben worden für meine Version von „Two Dollar Sam“, eine Karten-Gedächtnis-Routine, die ich schon bei Harald Schmidt gezeigt habe und bei Thorsten Sträter, jede Menge Klicks bei YouTube.

Damals, als die Sendung The Masked Magician lief und enthüllte …

Stinklangweilig, wenn Du mich fragst …

JvL: Ja, aber das war halt ein Stichwort, dann habe ich mir daraus eine Nummer gemacht, die war wirklich sehr komisch, die kann man auch auf meinem Kanal sehen. Wir hatten ja auch Gummimasken und all so etwas, das habe ich dann benutzt und dann den Slip einer Zuschauerin weggezaubert …

Als Parodie?

JvL: Ich habe gefragt, kennen Sie den Maskierten Magier? Das bin ich.

Auch bei Harald Schmidt habe ich ein paar Sachen gemacht. Der wusste, wenn ich kam, brauchte er nichts anderes mehr – ich habe genug Zeug mitgebracht.

In welcher Show?

JvL: In seiner Late-Night-Show. Da habe ich zum Beispiel einen Buchtest gezeigt. Es gibt verschiedene Systeme. Ich habe natürlich das Allereinfachste. Das habe ich in einem Buch entdeckt. Weil ich dann meine Bücher nehmen kann. Die Leute sind sprachlos. Die glauben das. Weil es mein Buch ist. Das kann ja dann kein Trick sein.

Ich nutze verschiedene Mnemo-Techniken, komme aber mit der Loci-Methode nicht so klar, die ja viele nehmen. Ich habe also wirklich meine 50 Begriffe, mit denen ich dann verknüpfe oder das Major-System – finde ich auch sehr schön für Zahlen, Platz im Parkhaus oder PIN-Nummer. Das übe ich immer mit meiner Frau im Pool, die macht ebenfalls Mnemotechnik.Wir machen 20 Items mit Preisen, also ich sage, eine Harke für € 13,50 und von den Dingern merken wir uns 20 und fragen uns das gegenseitig ab.

Wie stehst Du zum Thema Geheimnisverrat?

JvL: Ich sehe das sehr locker. Schon aus dem einfachen Grund, weil das Internet ja voll ist mit Tutorials. Die nehme ich auch in Anspruch. Kartenmagie und solche Geschichten, das machen die ja toll. Zauberliteratur ist ja auch jedermann zugänglich. Ich sehe das also nicht ganz so eng. Klar, ich verrate keinem Zuschauer
etwas und erkläre ihm das auch: Ich sage, wenn ich dir einen Trick verrate, bist du auf dich selber sauer, weil es dann plötzlich so einfach klingt und du dir übel nimmst, dass du auf so etwas Einfaches reingefallen bist. Auf mich bist du auch noch sauer, weil du dir sagst, mit so einem Blödsinn hat der mich gefoppt. Also ist uns beiden damit gedient, wenn ich das Geheimnis mit ins Grab nehme und du kannst weiter überlegen.

Es klopft an der Tür, Jürgen muss gleich auf die Bühne. Während des Interviews wirkt er nahbar, ganz ohne Starallüren. Sascha, sein Tourleiter sagt über ihn: „Es fühlt sich nicht an wie Arbeit. Weil Jürgen so ein angenehmer Mensch ist “.

Anschließend schaue ich mir die Lesung an: „Sex ist wie Mehl“. Und wieder: Ausverkauftes Haus mit nahezu 1000 Zuschauer. Bei einer Lesung! Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen.

Jürgen geht auf die Bühne, gänzlich unangestrengt, als befände er sich im Energiesparmodus. Aus dem Zuschauerraum schlägt ihm förmlich ein Tsunami an Herzlichkeit entgegen. Er hat das Publikum von Anfang an in der Hand

Lampenfieber? Fehlanzeige! Political Correctness? Fehlanzeige! “Ich lehne es ab“, sagt er etwa über das Gendern, „die Sprache zu verhunzen, um eine gesellschaftliche Haltung zu demonstrieren.“ Großer zustimmender Applaus. Der Künstler bringt seine ganz eigene Mischung aus deftigem Humor – mit Vergnügen unter der Gürtellinie – und geistreichem Reflektieren über die Sprache. Der Mensch hinter der Bühne unterscheidet sich kaum von seiner Bühnenperson. Auf mich wirkt es, als hätte sich Jürgen über die Jahre kaum verändert. Manche Künstler erfinden sich immer wieder neu. Jürgen von der Lippe ist sich treu geblieben, bleibt authentisch und glaubwürdig. Das Publikum vertraut ihm wie einen guten Freund. Vielleicht weil er es über Jahrzehnte nie enttäuscht, nie alleine gelassen hat. Fünf Jahrzehnte lang hat er geliefert, hat das Publikum immer wieder mit neuen Shows, Parodien und Büchern erfreut. Er tut das, was er liebt und dafür liebt ihn das Publikum.

Zeitweilig beneide ich ihn während der Lesung ein wenig: Wie leicht es sein kann, Menschen zu unterhalten. Mühelos und völlig ohne jede Anstrengung. Keine Präparationen, keine Requisiten, kein Gepäck. Ein Mann, ein Tisch, ein Buch – nichts weiter. Noch nicht einmal ein Jingle. Zeitweilig habe ich mich der Illusion hingegeben, Comedy sei das Einfachste der Welt.
Halt! Natürlich bereitet sich ein Lippe gründlich vor. Rund 20 Auftritte braucht es, bis die scheinbar improvisierten Gags auf den Punkt sitzen. Die Wohnzimmer-Atmosphäre lässt uns Jürgens jahrzehntelange Arbeit im Weinberg des Humors vergessen. Einen Abend lang nahm sich das Schwere ganz leicht aus. Eben wie die Illusionen eines großartigen Zauberers.

(Das Interview erschien erstmals in der Fachzeitschrift Magie 01-2024.)