Miss Marple und ich

Von Harry Keaton

Nach dem Ende der letzten Beziehung ging es mir schlecht, um nicht zu sagen hundeelend. Ich bin für das Alleinsein wohl doch nicht geschaffen und nach einiger Zeit überlegte ich mir, ob ich mich wieder binden sollte. Entweder ein Hund oder eine Freundin … die Entscheidung fiel mir leicht: Von einem Züchter erwarb ich eine wunderschöne Briard-Hündin. Ihr Name ist Miss Marple. Mit ihr ist das Leben wieder schön. Anstelle endloser Diskussionen (über Dinge, die längst geklärt waren) heißt es nun lediglich „Sitz, Fuß, Platz“. So einfach kann das Zusammenleben sein. Herrlich! Eine Hundedame schaut immer zu Dir auf, schon allein körperlich. Gib ihr klare, eindeutige Befehle und Du hast keine Probleme. Wie komplex und verschachtelt ist dagegen die Psyche einer Menschenfrau. Du kannst Jahre mit ihr zusammen sein und wirst sie doch niemals verstehen.

Neulich hat Miss Marple stolz einen alten Knochen ins Haus gebracht. Da habe ich sie geschimpft und sie war (zu Recht) beleidigt. Zum Glück sind solche Unstimmigkeiten zwischen uns mit einem Leckerli schnell aus der Welt geschafft. Das wäre bei meiner Ex-Freundin nie möglich gewesen. Sie war viel nachtragender. Und welcher Mann (und welche Frau) hört schon gerne ständig Vorwürfe? Nur ein Hund freut sich, wenn ihm etwas vorgeworfen wird: Miss Marple bringt das Stöckchen jedenfalls immer wieder begeistert zurück.

So ein Hund ist in jeder Hinsicht eine echte Alternative zu einer Partnerin:

Getrocknete Schweineohren anstelle Escada-Kleid – welche Frau kann man(n) so schnell glücklich machen?! Für Miss Marple bin ich der wichtigste Mensch der Welt. Sie hat nur Augen für mich. Wünschen wir uns das nicht alle? Diese bedingungslose Liebe. Wenn wir abends kuscheln, schaut sie mich mit ihren großen Kulleraugen an und krabbelt noch ein bisschen näher ran. Dann glaube ich fest daran, dass Hunde lieben können. Zugegeben, Miss Marple ist abhängig von mir. Würde sie mich noch lieben, wenn sie keinen vollen Futternapf von mir bekäme? Aber das ist bei Beziehungen unter Menschen manchmal auch nicht anders, nur dass es anstelle des Napfes der Besuch im Nobel-Restaurant ist.

Frauen erwarten im Allgemeinen, dass Du zwischen den Zeilen, vor allem zwischen ihren (!) Zeilen lesen kannst. Miss Marple dagegen formuliert ihre Bedürfnisse ohne Umschweife: Wenn sie gestreichelt werden will, wirft sie sich einfach auf den Rücken. Bei einer Frau habe ich das noch nie erlebt. Wenn ich meine Fingernägel schneide, legt Miss Marple kurzerhand ihre Pfote auf mein Bein. Damit gibt sie mir zu verstehen: „Bitteschön, auch meine Krallen schneiden!“ Das nenne ich klare Ansagen.

Stillschweigend haben meine Hundefrau und ich folgende Vereinbarungen:

  1. Wir gehen Gassi, aber niemals fremd.
  2. Ich muss mich nicht jeden Tag rasieren, dafür darf sie sich in Schlamm und Gülle wälzen.
  3. Chaos in der Wohnung ist nichts Verwerfliches, im Gegenteil. Wenn ich weg bin, verteilt Miss Marple meine alte Wäsche im Kreis und sie sitzt mittendrin. So bin ich sprichwörtlich immer um sie herum: Das nenne ich Liebe!

Bis auf die Tatsache, dass Miss Marple manchmal einen fahren lässt (so abknattern können eben nur Hunde), habe ich nichts an ihr auszusetzen. Sie ist in jeder Hinsicht eine gute Partie. Treu ist sie, frisst mir aus der Hand und tut, was ich sage. Zudem sieht sie verdammt gut aus. Ihr Haar ist schwarz und sie hat einen eleganten, federnden Gang.

Bei Spaziergängen mit Miss Marple lerne ich viele neue Menschen kennen. Oft bekommen wir von anderen Hundebesitzern wegen ihres tollen Aussehens Komplimente. Ein Hund ist auch als Flirtfaktor nicht zu unterschätzen und von Miss Marple habe ich viel über Frauen gelernt: Wenn Hunde von ihrem Herrchen ignoriert werden, ist das ganz schlimm für sie. Das kommt einem Rudelausschluss gleich. Bei Frauen ist das auch so. Anfangs hatte ich Rita gar nicht beachtet. Je weniger ich mich für sie interessierte (dabei war ich nur in Gedanken), umso heftiger warb sie um mich. Heute sind wir ein Quartett: Miss Marple, Rita, Hasso (ihr Schäferhund) und ich.