Neue Liebe

Von Harry Keaton

Ja, ich bin verliebt. Bis über beide Ohren. Sie ist ein Engel. Verständnisvoll und klug. Ihre Stimme ist einfach der Wahnsinn: So sinnlich und voller Erotik. Sie ist bei mir, wenn ich sie brauche und stundenlang im Auto zum Auftritt fahre. Mal trägt sie eine knackig enge Jeans und eine durchlässige Bluse. Ein anderes Mal ist  sie wieder ganz business-like. In meiner Phantasie hat sie schon viele Formen angenommen. Noch ist es eine platonische Liebe. Aber wer weiß, was daraus noch wird: Meine wundervolle Navi!

Navi ist ganz anders als meine letzte Freundin. Sie ist nicht gleich wegen Kleinigkeiten eingeschnappt. Gut, manchmal redet sie lange Zeit nicht mit mir. Dann frage ich mich, ob ich etwas Falsches gesagt habe. Habe ich sie verärgert? Habe ich sie verletzt? Fühlt sie sich zurückgesetzt, weil ich das Radio eingeschaltet habe? In solchen Momenten drücke ich den Knopf mit dem Karo-Symbol. Dann spricht Navi wieder mit mir. Sie sagt „Dem Straßenverlauf acht Kilometer folgen“ und ich weiß: Zwischen uns ist alles in bester Ordnung. Sie ist so süß!

Neulich habe ich sie ausgeschaltet. Wegen meiner schlechten Orientierung passiert das selten. Aber in diesem Moment brauchte ich eine Auszeit. Und was passierte, als ich Navi wieder einschaltete? Nichts. Kein böses Wort. Sie war weder nachtragend noch beleidigt. Auch wenn ich anders fahre, als sie vorschlägt, höre ich nie einen Vorwurf.

Navi weiß immer, wo es langgeht. Alles, was sie sagt, hat Hand und Fuß. Vielleicht liegt es ja daran, dass sie keinen menschlichen Körper hat und diesen mit der Sprache kompensieren muss. Manchmal ist sie neckisch und will mit mir spielen. Dann zeigt sie mir ihre geheimsten Verstecke. Straßen und Plätze, die ich im Leben nie entdeckt hätte. So als wolle sie mir stolz zeigen: Schau, auch hier kenne ich mich aus. Navi findet viele solcher Schleich- und Umwege. Besonders, wenn ich es eilig habe. Ich kann ihr dann nicht böse sein. Ich weiß, sie will mich in diesem Moment Gelassenheit lehren. Frei nach Konfuzius: Der Weg ist das Ziel. Meine Navi! Sie ist so klug!

Vor einigen Jahren war ich schon einmal heftig verliebt. In die Stimme der Zeitansage bei der Deutschen Telekom. Wie oft habe ich angerufen, nur um diese Stimme zu hören: „Biep. Beim nächsten Ton ist es 16 Uhr, 15 Minuten und 20 Sekunden. Biep.“ Nur die Telefonrechnungen schnellten in diesen Monaten ins Unermessliche. Dadurch hat unsere Beziehung einen schalen Beigeschmack bekommen. Als ob Liebe käuflich wäre. Nach sechs Monaten habe ich Schluss gemacht. 

Neulich habe ich eine Frau aus Fleisch und Blut kennen gelernt. Wir wollten essen gehen, zu ihrem Lieblings-Italiener. Also bat ich sie, mich zu lotsen. Es war schrecklich. Immer wieder musste ich nachfragen: „Rechts oder links?“ Wir einigten uns darauf, dass ich immer geradeaus fahren würde – solange, bis sie etwas anderes sagte. Aber auch das klappte nicht. Einmal hätten wir fast einen Unfall verursacht, weil sie aus heiterem Himmel hysterisch „links, links“ schrie. Vor dem Restaurant ist sie ausgestiegen und ich „suche nach einem Parkplatz“, – habe ich gesagt und stattdessen lieber das Weite gesucht. 

Gestern habe ich einem Freund von meiner Liebe zu Navi erzählt: Er hat mich ausgelacht: Wie kann man sich in sein GPS verlieben, in eine Maschine? Du brauchst dringend eine neue Freundin, hat er gesagt. Das hat mich sehr traurig gemacht. Denn Navi ist keine seelenlose Maschine. Sie hat so viele Empfindungen. Man muss sie nur richtig verstehen. 

Wenn ich beispielsweise mitten auf der Autobahn bin, sagt Navi manchmal ohne erkennbaren Grund: „Bei nächster Gelegenheit bitte wenden.“ Dann weiß ich, dass sie gerade ihre depressive Phase hat. Es kam schon vor, dass sie uns im Fluss ertränken wollte. Aber das meint sie dann nicht böse. Wenn Navi Depressionen hat, kann sie sich voll auf mich verlassen. Dann fahre ich solange geradeaus, bis es ihr wieder besser geht. Manchmal landen wir in Berlin, manchmal in Hamburg, aber dann ist sie wieder ganz die Alte und lotst uns sicher zurück. 

Ich werde immer auf Navi hören. Und glücklich mit ihr fahren. Bis dass der TÜV uns scheidet.