Wunder dringend gesucht
Von Harry Keaton
Mit drei Jahren habe ich – so wurde mir berichtet – das erste Mal gezaubert. Als meine Mama mit mir schimpfte, legte ich ein Tuch über meinen Kopf. „Warum tust du das?“, wollten meine Geschwister wissen. „Ich habe die Mama weggezaubert“, sagte ich.
Wie sehr habe ich mich als Kind nach einem Wunder gesehnt! Richtige Wunder ließen aber auf sich warten. Natürlich, da war der Weihnachtsmann und in manchen Büchern stand von Geheimnissen und Sagengestalten geschrieben. Aber im Alltag? Die Zahnfee war angeblich ein Fabelwesen, aber die war mir nicht geheuer. Ein Wesen, das einen Wackelzahn mitnimmt und im Gegenzug eine Süßigkeit hinterlässt? So ein dummer Tausch. Sie konnte unmöglich bei gesundem Feenverstand sein. Oder wollte sie heimlich etwas anderes? Hatte sie es etwa auf mein Feuerwehrauto abgesehen?
Meine Mutter versuchte mir die Angst zu nehmen:
„Die Zahnfee ist ganz klein, wie Tinkerbell. Da braucht so ein großer Junge wie du keine Angst zu haben.“
„Ich will sie nicht“, erklärte ich bestimmt. „Sie kommt einfach in mein Zimmer ohne zu fragen.“
„Ich verspreche Dir“, sagte meine Mama, „dass Du keine Angst haben musst.“
„Woher willst Du das wissen?“
„Ich bin die Zahnfee.“
„Und wie machst du dich so klein?“
Darauf gab sie keine Antwort geschweige denn, daß sie eine Kostprobe gab. Das wäre doch mal etwas gewesen. Wie oft habe ich sie gedrängt, sich klein zu schrumpfen – nichts!
Einmal schien ein Wunder nah: Eine Freundin im Kindergarten hatte Biene-Maja-Flügel an, wollte sie mir aber nicht leihen. Na gut, dann könnte sie ja damit herumfliegen. Ich überredete sie auf eine zwei Meter hohe Mauer zu klettern. Von dort könnte sie springen und fliegen. Und was tat sie? Sie weinte. Sie hatte doch die Flügel – nicht ich. Aus allen Ecken und Enden tauchten plötzlich fremde Menschen auf, die auf mich einredeten und schimpften.
Ein Gutes hatte die Sache, denn an meinem sechsten Geburtstag bekam ich einen Zauberkasten geschenkt. Schon bald konnte ich mit Hilfe einer kleinen Vase eine Kugel weg- und wieder herbeizaubern. Immerhin! Meine Mama dagegen weigerte sich noch immer zu schrumpfen. Dabei hatte sie doch einen Jahrzehnte langen Vorsprung in Sachen Magie.
„Ich werde einmal ein berühmter Zauberer“, erklärte ich irgendwann beim Abendessen. Daraufhin hieß es: „Harry, nun bleib mal auf dem Teppich.“ „Okay“, sagte ich, „bleibe ich eben auf dem Teppich.“ Aber sollte der Teppich dann nicht wenigstens fliegen können?!
Ein anderes Mal gab es beim Abendessen Streit. „Ich will noch eine Wurst“, sagte ich. Darauf hin meinte prompt die Mama: „Wie heißt das Zauberwort?“ War das ihr Ernst? Du kannst doch keinem angehenden Magier dieses alberne Wörtchen `bitte´ als Zauberwort andienen. Schließlich kannte ich schon so mächtige Zauberformeln wie `Abrakadabra´ oder `Simsalabim´. Und überhaupt, `bitte´? Sollte ich wirklich um eine Wurst bitten und betteln? Ein großer Zauberer als Bittsteller? Wo hat man das schon mal gehört?! Immerhin befand ich mich gewissermaßen auf Augenhöhe mit Miraculix und Merlin. Sie konnten von Glück sagen, dass ich niemanden in eine Kröte verwandelte. Oder in ein Würstchen.
Wie sehr habe ich mich als Kind nach einem Wunder gesehnt! Richtige Wunder ließen aber auf sich warten. Natürlich, da war der Weihnachtsmann und in manchen Büchern stand von Geheimnissen und Sagengestalten geschrieben. Aber im Alltag? Die Zahnfee war angeblich ein Fabelwesen, aber die war mir nicht geheuer. Ein Wesen, das einen Wackelzahn mitnimmt und im Gegenzug eine Süßigkeit hinterlässt? So ein dummer Tausch. Sie konnte unmöglich bei gesundem Feenverstand sein. Oder wollte sie heimlich etwas anderes? Hatte sie es etwa auf mein Feuerwehrauto abgesehen?
Meine Mutter versuchte mir die Angst zu nehmen:
„Die Zahnfee ist ganz klein, wie Tinkerbell. Da braucht so ein großer Junge wie du keine Angst zu haben.“
„Ich will sie nicht“, erklärte ich bestimmt. „Sie kommt einfach in mein Zimmer ohne zu fragen.“
„Ich verspreche Dir“, sagte meine Mama, „dass Du keine Angst haben musst.“
„Woher willst Du das wissen?“
„Ich bin die Zahnfee.“
„Und wie machst du dich so klein?“
Darauf gab sie keine Antwort geschweige denn, daß sie eine Kostprobe gab. Das wäre doch mal etwas gewesen. Wie oft habe ich sie gedrängt, sich klein zu schrumpfen – nichts!
Einmal schien ein Wunder nah: Eine Freundin im Kindergarten hatte Biene-Maja-Flügel an, wollte sie mir aber nicht leihen. Na gut, dann könnte sie ja damit herumfliegen. Ich überredete sie auf eine zwei Meter hohe Mauer zu klettern. Von dort könnte sie springen und fliegen. Und was tat sie? Sie weinte. Sie hatte doch die Flügel – nicht ich. Aus allen Ecken und Enden tauchten plötzlich fremde Menschen auf, die auf mich einredeten und schimpften.
Ein Gutes hatte die Sache, denn an meinem sechsten Geburtstag bekam ich einen Zauberkasten geschenkt. Schon bald konnte ich mit Hilfe einer kleinen Vase eine Kugel weg- und wieder herbeizaubern. Immerhin! Meine Mama dagegen weigerte sich noch immer zu schrumpfen. Dabei hatte sie doch einen Jahrzehnte langen Vorsprung in Sachen Magie.
„Ich werde einmal ein berühmter Zauberer“, erklärte ich irgendwann beim Abendessen. Daraufhin hieß es: „Harry, nun bleib mal auf dem Teppich.“ „Okay“, sagte ich, „bleibe ich eben auf dem Teppich.“ Aber sollte der Teppich dann nicht wenigstens fliegen können?!
Ein anderes Mal gab es beim Abendessen Streit. „Ich will noch eine Wurst“, sagte ich. Darauf hin meinte prompt die Mama: „Wie heißt das Zauberwort?“ War das ihr Ernst? Du kannst doch keinem angehenden Magier dieses alberne Wörtchen `bitte´ als Zauberwort andienen. Schließlich kannte ich schon so mächtige Zauberformeln wie `Abrakadabra´ oder `Simsalabim´. Und überhaupt, `bitte´? Sollte ich wirklich um eine Wurst bitten und betteln? Ein großer Zauberer als Bittsteller? Wo hat man das schon mal gehört?! Immerhin befand ich mich gewissermaßen auf Augenhöhe mit Miraculix und Merlin. Sie konnten von Glück sagen, dass ich niemanden in eine Kröte verwandelte. Oder in ein Würstchen.
Gut, ich spielte die Rolle des kleinen, harmlosen Jungen überzeugend. Natürlich wussten sie nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Das hatte ich bei Spiderman gelernt.
Bei dem Wort `bitte´ allerdings weigerte ich mich. Das hätte gegen die Zauberehre verstoßen. Wegen dieser Weigerung wurde ich auf mein Zimmer geschickt. Normalerweise gehörte es zu den Hauptsorgen der Erwachsenen, dass ich genug gegessen hatte. Heute schien das auf einmal nicht zu gelten.
Egal, Spaghetti hätte ich sowieso viel lieber gehabt. Das bei Erwachsenen solche Lappalien wie `bitte´ und `danke´ so wichtig waren. Die entscheidenden Dinge aber – der nächtliche Kampf gegen Schattengeister und Dämonen – interessierte sie nicht die Bohne.
Erst später begriff ich, dass es nicht reichte, auf Wunder zu hoffen. Ich musste selbst für sie sorgen. Je stärker ich an meine Wunder glaube, desto realer wurden sie. Für meine Zuschauer und für mich. Selbst wenn ich die Naturgesetze nur scheinbar überliste. Paradox, nicht wahr?
Vielleicht liegt es an meiner reichen Phantasie. Der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau schrieb einmal:
Was vor uns liegt und was hinter uns liegt, sind Kleinigkeiten zu dem, was in uns liegt. Und wenn wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder.
So ist es. Und falls einer ihrer Kinder ein Zauberer oder Zauberin werden möchte, fragen Sie niemals: Wann wirst du endlich erwachsen? Denn beides zusammen – zaubern und erwachsen sein – das geht einfach nicht.
Bei dem Wort `bitte´ allerdings weigerte ich mich. Das hätte gegen die Zauberehre verstoßen. Wegen dieser Weigerung wurde ich auf mein Zimmer geschickt. Normalerweise gehörte es zu den Hauptsorgen der Erwachsenen, dass ich genug gegessen hatte. Heute schien das auf einmal nicht zu gelten.
Egal, Spaghetti hätte ich sowieso viel lieber gehabt. Das bei Erwachsenen solche Lappalien wie `bitte´ und `danke´ so wichtig waren. Die entscheidenden Dinge aber – der nächtliche Kampf gegen Schattengeister und Dämonen – interessierte sie nicht die Bohne.
Erst später begriff ich, dass es nicht reichte, auf Wunder zu hoffen. Ich musste selbst für sie sorgen. Je stärker ich an meine Wunder glaube, desto realer wurden sie. Für meine Zuschauer und für mich. Selbst wenn ich die Naturgesetze nur scheinbar überliste. Paradox, nicht wahr?
Vielleicht liegt es an meiner reichen Phantasie. Der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau schrieb einmal:
Was vor uns liegt und was hinter uns liegt, sind Kleinigkeiten zu dem, was in uns liegt. Und wenn wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder.
So ist es. Und falls einer ihrer Kinder ein Zauberer oder Zauberin werden möchte, fragen Sie niemals: Wann wirst du endlich erwachsen? Denn beides zusammen – zaubern und erwachsen sein – das geht einfach nicht.